Wie ihr ja vielleicht auch gehört/gelesen habt, gab's in Belfast in den letzten Wochen vermehrt Unruhen, was auch der Grund dafür war, dass Alec uns bei unserem ersten Besuch nicht in die "Brennpunkte" geführt hat. Miri und ich dachten beide, dass der Streit zwischen Katholiken und Protestanten einen Großteil der Spannungen ausmacht, aber eigentlich haben diese heutzutage eher einen politischen Ursprung. Dabei gibt es auf der einen Seite die Nationalisten, die möchten, dass Nordirland ein Teil Irlands wird, und auf der anderen Seiten die Loyalisten oder Unionisten, die weiterhin zu Großbritannien gehören möchten. Was uns wirklich aufgefallen ist, sind die vielen Flaggen und Wimpelketten an den Häusern und in den Straßen, an denen man erkennen kann, ob in diesem Gebiet hauptsächlich Nationalisten (Katholiken) oder Loyalisten (Protestanten) wohnen. Neben diesen offensichtlichen "Markierungen" hat uns Alec allerdings auch erklärt, dass die Leute anhand deines Fußballclubs, deiner Schule oder sogar an der Art, wie du das Alphabet aufsagst, dich einer Gruppe zuordnen können.
Was das alles allerdings noch viel komplizierter macht, ist die Tatsache, dass es nicht einfach "Katholiken gegen Protestanten" oder "Nationalisten gegen Loyalisten" heißt, sondern dass sich z.B. die protestantischen Gruppen auch noch untereinander bekämpfen. Diese Konflikte werden von paramilitärischen Gruppen ausgetragen, die zum Beispiel auch im Drogenhandel miteinander konkurrieren. Das für uns so Unvorstellbare ist dabei, dass diese "paramilitaries" in ihren Vierteln (auch in Carrickfergus) die Macht haben, sodass sich die Menschen dort bei Verbrechen an "ihre Gruppe" wenden würden und nicht an die Polizei.
Die Allgegenwärtigkeit dieser paramilitärischen Gruppen wird durch die sogenannten "murals" überdeutlich. Murals sind eine Art Wandmalerei (das hört sich nur meiner Meinung nach zu friedlich an), die quasi Propagande zum Beispiel für die Ulster Defense Association machen oder geschichtliche Themen behandeln.
Mural in Belfast |
Was mir wirklich einen Schauer über den Rücken gejagt hat, sind die Murals der paramilitaries, da diese mehr oder weniger direkt Gewalt im Kampf gegen "die Anderen" fordern.
Murals in Derry |
In Derry gibt es erst seit Kurzem die sogenannte Peace Bridge, die den vowiegend protestantischen Teil der Stadt mit dem katholischen verbindet:
Peace Bridge in Derry |
Wenn auch die Murals, die Gewalt und Geschichte so offensichtlich verherrlichen und propagandieren, für Miri, Roberto und mich schwer zu begreifen waren, war das in keiner Weise mit der "Peace Wall" zu vergleichen. Da ich beim Vorbereitungsseminar in Deutschland mein Einsatzland vorstellen musste, hatte ich mir vorher eine Art Basiswissen bei Wikipedia angelesen (wie damals in der Schule :P) und war dort auch auf den Begriff "Peace Wall" ("Friedensmauer") gestoßen. Bei dem Wort Mauer denkt man als Deutsche unweigerlich an die Berliner Mauer und tatsächlich habe ich Bilder im Internet gefunden, die die "Peace Wall" mit Wandmalereien zeigen, die mich sehr an die East Side Gallery erinnern, das Stück der Berliner Mauer in Kreuzberg, das von Künstlern aus aller Welt angemalt wurde. So hatte ich mir das Ganze auch in Belfast vorgestellt: ein Reststück der Mauer, das erhalten und künstlerisch gestaltet wurde, um Geschichte für Touristen, Schüler,... zu veranschaulichen, also mit einer eher repräsentativen Funktion.
"Peace Wall" |
Alec hat uns erzählt, dass viele der Touristen, die in den Doppeldeckerbussen wie zu den anderen "Sehenswürdigkeiten" angekarrt werden, Sprüche an die Mauer schreiben wie "Don't worry be happy!". Ich weiß nicht, aber das ist wirklich kein Ort, an dem ich den Menschen raten würde, "sich keine Gedanken zu machen sondern einfach fröhlich zu sein". Im Nachhinein haben Miri und ich festgestellt, dass allein die Murals und die "Peace Wall" (ich MUSS diesen Begriff einfach in Anführungszeichen setzen) uns schon genug Stoff zum Nachdenken gegeben hätten, ohne das übliche Sightseeing in Derry (oder eben Londonderry). Diese Konflikte erinnern einfach in so vielen Punkten an die Berliner Mauer und die DDR, aber das ist für uns eine Zeit, an die erinnert werden muss, aber die abgeschlossen ist. Davon kann in vielen nordirischen Städten nicht die Rede sein, noch heute schicken die Eltern ihre Kinder auf die "richtige" Schule und wenden sich bei Schwierigkeiten lieber an die paramilitärischen Gruppen als an die Polizei. Kein Wikipedia-Artikel kann einem das Gefühl vermitteln, vor dieser riesigen "Peace Wall" zu stehen ohne auf die andere Seite sehen zu können oder in Derry konzentriert darauf zu achten, ja nicht den Namen Londonderry zu erwähnen.
Es war wirklich ein bewegender Tag, der die Nachwirkungen des Nordirlandkonflikts sehr nahe an uns herangrückt hat und mir und Miri auch jetzt nach Mitternacht immer noch Redebedarf gibt. Ich hoffe, euch interessiert dieser kleine Ausflug in die nordirische Geschichte/Gegenwart; ich musste das Ganze irgendwie erstmal zumindest halbwegs verarbeiten...
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