Samstag, 2. März 2013

Bergfest

Denn kaum zu glauben, aber war: schon seit 6 Monaten bin ich jetzt hier im wunderbaren Union Jack-beflaggten Carrickfergus. Und trotz aller (berechtigter!) Vorfreude auf eine ordentliche Matratze, Brot statt Toast, ein Sofa, in das man nicht einsinkt, Steckdosen ohne Adapter, Wäscheständer mit System, Milka Oreo-Schokolade (hat die Globalisierung leider immer noch nicht bis zu den Briten gebracht), einen Garten ohne Mauern, Rechtsverkehr, Mülltrennung, einen Fernseher mit Signal (die neue Germany's Next Topmodel Staffel läuft ja schon :P ),... und NATÜRLICH vor allem meine Familie und meine Freunde, bin ich sehr froh, dass mir hier noch ein weiteres halbes Jahr bleibt. 
Natürlich zusammen mit den beiden weltbesten Wg-Mitbewohnern :)
 Zum Beispiel habe ich nämlich das Gefühl, dass der "Sprachknoten" so wirklich erst in den letzten Wochen geplatzt ist. Ich hatte von Beginn an eigentlich gar kein Problem damit, zu reden und verstanden zu werden; das Problem lag hier viel mehr im Verstehen (oder zu Beginn erahnen). Wir haben jetzt schon von mehreren Nordiren gehört, die im englischsprachigen Ausland waren und dort die ersten Monate (!) brauchten, bis sie es raushatten, ihr Sprachtempo (die machen sogar den Spaniern Konkurrenz) und ihre Aussprache so anzupassen, dass die Amerikaner, Neuseeländer, Engländer oder Australier sie verstehen konnten. Jetzt könnt ihr euch vielleicht vorstellen, wie lange es dauerte, bis wir (Ausländer OHNE englische Muttersprache) aus dem Genuschel "Bout ye?" den Satz "What about you?" rausgehört und diesen dann in das "normale" Englisch "How about you?" übersetzt haben. Mittlerweile jedoch sind wir mit Belfast-Vokabular ganz gut ausgerüstet und ich steige (meistens zumindest) sogar bei den Unterhaltungen im Glenfield-Teenager-Club durch (meine sprachlich größte Herausforderung neben den 1-2Jährigen!).
Außerdem leite ich seit der letzten Woche die Bible Class in Glenfield, in der wir mit den Kindern zusammen eine Bibel aus Geschichten, Bildern, Kreuzworträtseln, Buchstabensalaten, Gebeten, ... basteln werden. Während die letzte PAKT-Bibel eher Altes Testament-lastig war, werde ich mich mehr an Jesus Geschichten über Nächstenliebe, Toleranz, Offenheit,... orientieren, weshalb wir in der letzten Woche die Geschichte vom barmherzigen Samariter als Comic gelesen haben. Damit habe ich also erst mal Einiges zu tun!
Ein weiteres Ziel in den nächsten Monaten ist ein Projekt im Drop In, wobei ich mich besonders für ein Kochprojekt von uns 3 EVS-Freiwiligen begeistern würde. Den dazu wohl nötigen A....tritt habe ich bei der (Achtung geschickte Überleitung!) midterm-evaluation bekommen.
Von Mittwoch bis Freitag waren wir 3 nämlich im Ulster Folk und Transport Museum, das das Leben in Irland vor 100 Jahren darstellt. Dementsprechend gab's kein Wifi, nur kalte Duschen und "alte" Fenster. Tatsächlich haben wir in unserem Haus die gleichen "single glass" Fenster ohne Isolierung - die könnten's also sogar noch ins Museum schaffen!
Jedenfalls war die Gruppe dieses Mal bedeutend größer und internationaler als beim on arrival-Training (Roberto, Miri, ich + 3 weitere Freiwillige): 2 Französinnen, 1 Armenierin, 1 Polin, 3 Deutsche, 4 ItalienerInnen, 1 Griechin und 3 SpanierInnen (von denen eine jedoch ausdrücklich aus Galicia stammt!). Dementsprechend lustig ging's auch her (Italiener sagen wirklich oft Mamma mia!!) und besonders der französische Akzent ist echt ne Herausforderung (Ei öm fröm Frooohnse). Thematisch ging's um Problemlösungen, die altbekannte Motivationskurve (bei der bei mir zum Glück das Tief fehlt), Projektvorstellungen, Zielsetzungen,... Gerade der Austausch mit den beiden Freiwilligen vom Bangor YMCA war sehr interessiert, da auch die Beiden von nuschelnden, rauchenden und ewig kaffeschlürfenden Teenie-Mums (und Kolleginnen!) relativ angenervt sind.
Damit der Spaß nicht zu kurz kam, haben wir außerdem selber Brot gebacken und ein "Old-Style-Family-Photo" aufgenommen:
Ladies and Gentlemen
 Der Vorteil an altmodischen Fotos ist, dass man nicht sieht, wenn man zwinkert; der Nachteil ist, dass sie dank des Lächel-Verbots immer diesen Beerdigungs-Touch haben.
Ein weiterer Trainingsabend wurde dem Thema nordirische Geschichte gewidmet, die sehr von Schlachten zwischen protestantischen und katholischen Königen durchzogen ist. Weiterhin gibt es in Nordirland 90 "Friedensmauern", davon die meisten in Belfast, die katholische von protestantischen Wohnvierteln abtrennen und seit dem Friedensabkommen 1998 mehr und höher geworden sind; außerdem sind nur 6% der Schulen integrated, also gemischt, wobei diese Zahl seit 1998 ABgenommen hat. Einige der anderen Freiwilligen in Belfast arbeiten in sogenannten "interface" areas, wo sie mit protestantischen bzw. katholischen Gruppen arbeiten, die irgendwann zusammengeführt werden sollen. Die Lage sieht auch dort nicht rosig aus, aber sie sind immerhin einen Riesenschritt weiter als zum Beispiel in Glenfield, wo an solche Projekte noch gar nicht zu denken wäre (auch da schlicht und einfach keine Katholiken vorhanden sind, die man mit den Protestanten zusammenführen könnte).
Jedenfalls haben wir schon gemerkt, dass wir dank 98% Protestanten in Carrick und großen Teilen mit sehr geringer Bildung einen sehr radikalen Blickwinkel des ganzen Konflikts kennenlernen konnten, was die Demonstrationen und Ausschreitungen auch näher an uns herangebracht hat. Unglaublicherweise haben es doch tatsächlich Freiwillige vollbracht, ein halbes Jahr in Belfast zu leben, OHNE an der Peace Wall gewesen zu sein (bei uns hat jeder Besucher die Mauer spätestens nach 24-48 Stunden gesehen!)!
Ein weiterer Abend stand unter dem Thema "Learn the Lingo", also Belfast Slang. Hierzu gibt's ein Video, das ihr euch unbedingt mal anhören solltet (damit ihr wisst, worüber ich so klage!!):
Nach viel Austausch mit anderen Freiwilligen und zu wenig Schlaf sind wir jetzt also bereit, uns voller Elan wieder in unsere Arbeit zu stürzen. Noch eine Wettermeldung zum Schluss: es hat hier seit über 2 Wochen NICHT geregnet!! Die Nordiren (und natürlich wir!) sind ganz aus dem Häuschen :D Wir werden diese Trockenperiode nutzen, um unsere Wäsche endlich mal in unserem tollen Hinterhof aufzuhängen, damit es in unserem Haus nicht wieder so aussieht:
Waschtage nach Schottland :P

Liebe Grüße an euch alle ;)

 

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